Jeder Mensch ist individuell. Deshalb hat auch jeder von uns individuelle Anforderungen an seine Gesundheitsversorgung. Die Basis dafür ist Patientenorientierung. Was das in der Praxis bedeutet, erklärt Gesundheitsplaner Wolfgang Habacher von der EPIG GmbH.
Vom Seilklettern über den Klettersteig bis hin zum „normalen Wandern“ und dem Mountainbiken: Es gibt viele Möglichkeiten, sich im alpinen Gelände fortzubewegen. Jeder Mensch hat dabei seine individuellen Vorlieben – und auch seine individuellen Ansprüche. Dem einen ist wichtig, dass es die Möglichkeit zur geselligen Hütten-Einkehr gibt. Wieder andere bevorzugen Routen, auf denen man möglichst alleine unterwegs ist. Menschen sind eben verschieden und wer seiner Gesundheit Gutes tun will, achtet auch auf seine individuellen Bedürfnisse.
Auch ein modernes Gesundheitssystem muss sich viel stärker an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Man spricht dabei von Patientenorientierung, erläutert Wolfgang Habacher, Geschäftsführer der EPIG GmbH – Entwicklungs- und Planungsinstitut für Gesundheit. „Das ist ein Paradigmenwechsel. Früher hat man Strukturen entwickelt und erwartet, dass sich die Menschen so verhalten, dass sie die Strukturen auch nutzen können. Heute schaut man sich zuerst an, was die Menschen eigentlich brauchen, wie sie die Hilfe bestmöglich in Anspruch nehmen können und wie das Gesundheitssystem organisiert sein muss, um bestmöglich helfen zu können. Dabei ist die Betrachtung der Versorgungsprozesse viel wichtiger geworden. Es geht darum, ob jemand selbst mobil ist oder nicht, wie dringend die Hilfe ist und wo sie bestmöglich erbracht werden kann. Und dann schaut man, dass die Strukturen so weiterentwickelt werden, dass sie in diese Abläufe passen und die Bedürfnisse decken können.“
Der Steirische Gesundheitsplan 2035 ist für die Steiermark die Grundlage für diese Weiterentwicklung. „Patientenorientierung ist dabei kein leeres Schlagwort. Sondern Leitmotiv dieser Weiterentwicklungen. Als Patientin bzw. Patient will ich bei einem gesundheitlichen Problem dann, wenn es auftritt und von überall aus einen ersten medizinischen Rat einholen können. Wenn dies telefonisch gelingt, ist allen geholfen. Mir, weil ich rasch und einfach Sicherheit gewinne und den Einrichtungen, weil ich nicht unangemeldet im Wartezimmer erscheine. Deshalb gibt es das Gesundheitstelefon“, nennt der Experte ein Beispiel.
Dieser niederschwellige Zugang zum Gesundheitssystem ist essenziell. „Das heißt orts- und zeitunabhängig, unabhängig von meinen Mobilitätsverhältnissen und auch verständlich. Ich als Patient habe ein subjektives Bedürfnis nach einer raschen und objektiven medizinischen Einschätzung meines Problems. Ist die Rötung am Insektenstich etwas Ernsthaftes und muss ich mir das anschauen lassen oder reicht es, wenn ich es selbst versorge und weiter beobachte?“
Zum Thema Erreichbarkeit ist aber auch eines wichtig: „Es geht dabei nicht um die Länge der Wegstrecken. Dass jeder Mensch in der Steiermark gleich weit ins nächste Krankenhaus oder zum nächsten Arzt hat, ist natürlich nicht möglich. Wesentlich ist, dass mir im Notfall rasch vor Ort geholfen wird und ich dann in die Einrichtung komme, die für mein Problem die beste Versorgung bieten kann. Ist mein Gesundheitsproblem kein zeitlich dringendes, wie übrigens die allermeisten Fälle jeden Tag in der Steiermark, so geht es vor allem darum, dass die Versorgungsqualität gut ist. Es hilft mir ein Krankenhaus in der Nähe nicht, wenn es nicht die notwendige Qualität sicherstellen kann, weil bei speziellen Fragen die Routine fehlt oder das Ärzteteam nicht rund um die Uhr vollständig besetzt werden kann. Je allgemeiner medizinische Probleme sind und je häufiger sie auftreten, desto mehr Angebote kann man bereitstellen und dementsprechend breit kann die Struktur gestreut werden. Deswegen ist das Netz an allgemeinmedizinischen Hausärztinnen und Hausärzten das dichteste, das benötigt jede von uns am öftesten.“
Auch hier braucht es für mehr Patientenorientierung eine Weiterentwicklung, die u. a. mit den Gesundheitszentren erreicht werden soll. „Früher waren wir es von unseren Hausärztinnen und Hausärzten gewöhnt, dass sie nahezu rund um die Uhr erreichbar waren und jederzeit auch Hausbesuche machten. Sie kannten das soziale Umfeld und deckten ein sehr breites medizinisches Spektrum ab. Das geht heute verständlicherweise einfach nicht mehr. Genau da setzen die Gesundheitszentren an. Sie sind gewissermaßen die moderne Weiterentwicklung dessen, was früher ein Hausarzt oder eine Hausärztin, oft unter Selbstausbeutung, gemacht hat. In einem Gesundheitszentrum arbeiten Ärzt*innen und Ärzte im Team mit anderen Gesundheitsberufen wie Diplompflegern und -pflegerinnen, Physiotherapeuten und -therapeutinnen etc. gut organisiert und eng vernetzt mit Einrichtungen der Sozialberatung und psychosozialen Versorgung zusammen. Und das Ganze mit sehr langen Öffnungszeiten und bei Bedarf auch bei mir zu Hause.“
Habacher fasst zusammen: „Diese gesamte Struktur der Primärversorgung durch das Gesundheitstelefon, die allgemeinmedizinischen Hausärztinnen und Hausärzte sowie die Gesundheitszentren bildet das flächendeckende Rückgrat des überwiegenden Teils der täglichen Versorgung in allen Regionen in gleicher Weise. Das Leitspital benötige ich hoffentlich nur sehr selten, nämlich dann, wenn meine Erkrankung oder eine notwendige Operation eine längere stationäre Pflege nötig machen. Dann aber ist nicht die Wegstrecke das Kriterium, sondern die technische Ausstattung vor Ort und die Verfügbarkeit der Menschen, die damit täglich zu tun haben.“